Momentan gibt es keine Dates. Es gibt nur WG-Castings. Zwei meiner Mitbewohner ziehen aus bzw. sind schon ausgezogen und weil die Hausverwaltung zickig ist, schicken wir Zusagen raus, nur um eine Woche später erneut das Gesuch auf wg-gesucht wieder einzustellen. Warum? „Wir warten auf die Schufa-Auskunft von Frau Schmitt. Aber Frau Müller kann das andere leere Zimmer bekommen.“ Frau Müller möchte das andere Zimmer aber nicht und sagt einer anderen WG zu. Frau Schmitt ist unzuverlässig, lässt uns drei Wochen warten, nur um am Ende zu erfahren, dass sie gar nicht aus ihrer aktuellen Wohnung raus kann (f*** dich!).
Wir geben die Unterlagen von Herrn Schumacher ab. „Ja also nee. Männliche Bewohner gehen gar nicht. Wo kommen wir denn dahin, dass wir gemischte WGs haben?!“ Ins nächste Jahrhundert vielleicht?!
Wir geben die Unterlagen von Frau Sommer ab. „Ja, Frau Sommer ist ok. Die akzeptieren wir. Aber sie muss einen Vertrag für zwei Jahre unterschreiben.“ Frau Sommer sagt ab. Frau Sommer sagt uns, dass die Hausverwaltung absolut unfähig und scheiße ist.
Ich gebe die Suche auf, setze mich morgens einfach nur noch zu den Terminen mit meinem Kaffee in die Küche, um mir die Bewerber anzugucken, die meine Mitbewohnerin organisiert hat. Die erste ist okay. Sie will Jura studieren, aber „mein Piercing muss drin bleiben und wenn ich irgendwann Perlenohrringe trage, dann müsst ihr mich schlagen!“ Die mag ich. Die darf hier wohnen.
Während des Gesprächs ruft die Zweite an. „Ich bin gerade in der Stadt. Darf ich jetzt schon kommen?“ Wir sind in Deutschland. Halt dich an Termine, man!
Apropos Termine. Am Vortag sitze ich mit einer anderen Bewerberin in der Küche als es plötzlich an der Tür klopft. Ich schreie „JA?“ in der Erwartung, dass gleich Frau Hausverwaltung die Tür aufschließt und uns mit neuen Bewerbern überrascht. Aber es schließt keiner auf. Also stehe ich auf, öffne die Tür und vor mir steht Lisa und strahlt mich an. „Hallo, ich wollte nur mal hallo sagen, damit ihr ein Gesicht zu meinem Namen habt!“ „Oookay…wieso?“ „Ja, ich war gerade beim Einschreiben und hab bei wg-gesucht eure WG gefunden und dachte, dass ich mal hallo sage“ „Oookay…und jetzt?” „Ja, ich wollte nur mal hallo sagen! Damit ihr ein Gesicht zu dem Namen habt!“ Ihren Namen kannte ich nicht. Sie hat sich nicht mal vorgestellt. „Und wem von uns hast du geschrieben?“ „Keinem! Aber ich dachte ich sag vorher schon mal hallo. Damit ihr ein Gesicht zu dem Namen habt!“ Was ist falsch mit dir?! „Frau Hausverwaltung hat gesagt, dass hier drei Zimmer frei sind.“ „Eigentlich nur noch eins … hast du mit ihr telefoniert? Ist sie mit dir gekommen?“ „Nein. Aber die hat die Anzeige eingestellt. Und dann dachte ich, dass ich mal vorbei komme, um hallo zu sagen, damit ihr ein Gesicht zu dem Namen habt.“ Halt die Fresse.
Nach zehn verwirrenden Minuten hat sich Lisa dann endlich verabschiedet. Keine Ahnung, wie sie in das Haus gekommen ist. Wahrscheinlich hat sie vor der Haustür gelungert bis jemand rein- oder raus gekommen ist.
Liebe WG-Suchende: So macht man das nicht!
Die nicht-Jura-Tussi verschwindet zu ihrer nächsten Besichtigung und meine Mitbewohnerin teilt der zweiten mit, dass sie jetzt kommen kann. Ich mache mir meinen zweiten Kaffee und kann aus der Küche heraus hören, dass an der Tür mehrere Leute begrüßt werden. Und als sie die Küche betreten und ich das Übel sehe, verändert sich meine Miene von freundlich und offen in desinteressiert und „geht sofort wieder weg!“, denn Madame kommt mit Mutter und Schwester.
Warum?? Warum verbaust du dir jede Chance auf dein Traum WG-Zimmer?! Meine Mitbewohnerin wirft mir einen vielsagenden Blick zu und ich erkenne die Angst in ihren Augen vor dem, was gleich passieren wird. Sie führt die drei Gäste durch die WG und ich höre wie Frau Mutter Fragen stellt und der Rest stumm bleibt. Nach fünf Minuten sind sie fertig und kommen in die Küche. Die Mutter übernimmt weiterhin das Reden und fragt nach den Parkmöglichkeiten. „Madame würde dann nämlich ein Auto von uns bekommen und dann wäre das ja blöd, wenn sie hier keinen Parkplatz findet.“ Madame sitzt stumm daneben. Ich auch. Ich habe keine Fragen an sie. Madame wurde bereits von meiner potentiellen Mitbewohner-Liste gestrichen, als sie mit ihrer Mutter (und Schwester) durch die Haustür spaziert ist.
Warum? Ja, warum kommt man alleine zu einem WG-Casting und nicht mit seiner Mutter/Schwester/Vater/Oma/Opa/Tante/Onkel…
Punkt 1: Es ist ein WG-Casting. Keine Wohnungsbesichtigung. Dahin kann man mit seinen Eltern gehen, wenn man gerade frisch von Zuhause auszieht. Das kommt sogar gut an. Da sehen die Vermieter, wer demnächst die Miete bezahlen wird. Aber wir sind nicht die Vermieter. Wir sind die Mitbewohner. Uns ist egal, wer die Miete bezahlen wird. Wir haben keine Mehrkosten dadurch, wenn irgendjemand im Mietrückstand ist. Jede bezahlt ihr Zimmer. Was uns aber nicht egal ist, ist, wer da mit uns zusammen in der Wohnung wohnt.
Daher Punkt 2: Ich will kein unselbstständiges Mama-Kind, das bei jeder Entscheidung erstmal ihre Mami fragen muss und bei Streit erstmal petzen geht. Jeder meiner bisherigen Mitbewohner hat es geschafft alleine zu einem WG-Casting zu gehen. Die nächsten sollten das also auch hinbekommen.
Aber Mami und Papi bezahlen das Zimmer und würden vorher gerne wissen, für was sie da Geld ausgeben?
Dann schau dir die WG vorher trotzdem alleine an und wenn du die Zusage hast, kannst du immer noch die Eltern antanzen lassen, bevor der Vertrag unterschrieben wird.
Die Anreise ist weit und alleine nicht machbar?
Ich war damals auch nicht alleine, aber meine Eltern haben draußen gewartet und zur Not gibt es sicherlich auch ein Café, wo sie sich reinsetzen können. Die sind schon erwachsen. Die schaffen das. Und wenn sie dann doch noch unbedingt mitkommen und das Zimmer sehen wollen, dann kündigt man das vorher an. Dann kann die WG immer noch schreiben, dass das kein Problem ist oder direkt absagen oder (wie wir das gemacht hätten) antworten, dass wir die Person schon gerne alleine kennen lernen wollen und die damit rechnen sollen, dass Mutter/Vater/Oma/Freund/Bruder/beste Freundin/Wasauchimmer (Hund wäre okay) für eine halbe Stunde auf sich alleine gestellt ist.
Das führt mich auch zu Punkt 3: Gehemmte Stimmung durch ein anwesendes Elternteil. Bei uns laufen die guten WG-Castings eigentlich immer gleich ab. Man stellt sich vor, erzählt über das WG-Leben und die Bewerberin bekommt ein gutes Bild davon, mit wem sie zusammen wohnen würde. Die Bewerberin erzählt gleichzeitig von sich und ihren bisherigen WG-Erfahrungen (oder eben nicht, wenn es die nicht gibt) und irgendwann entwickelt sich ein eigenständiges Gespräch daraus. Am Ende erzählt jeder seine krassesten Alkohol-/Party-/Sex-Geschichten, weil die Stimmung so gut ist. Und dazu kommt es erfahrungsgemäß nicht, wenn Frau Mutter daneben sitzt und wissen will, ob ihr Töchterchen auch garantiert einen Parkplatz findet.
Und außerdem: Eine WG in guter Lage kurz vor Semesterbeginn hat 50 Anfragen. Davon wird vielleicht die Hälfte eingeladen. Und dann muss die WG entscheiden, wen sie nimmt. Überlegt selbst: Nehme ich die, mit der man ein ausgelassenes Gespräch über zwei Stunden geführt hat oder die, die mit Mama und Papa da war und nach zehn Minuten wieder gehen musste, weil Papa jetzt alle Fragen gestellt hat und gerne etwas essen gehen würde? Genau.
Madame war nach zehn Minuten also wieder weg und meine Mitbewohnerin schaut mich vorwurfsvoll an. „Kannst du dir nicht wenigstens ein bisschen Mühe geben?!“ Nö. Hat Madame ja auch nicht gemacht. Die wollte nicht mal wissen, was ich studiere oder wer in das andere Zimmer kommt. Sie hat sich mit den Worten „ja, dann gucken wir uns noch die anderen WGs an und dann schauen wir mal, was mir am besten gefällt und ich nehmen würde“ verabschiedet. Dabei hat sie weder mich noch meine Mitbewohnerin angeguckt, sondern ihre Mutter. Ich wollte „neeeein! Geh allein zu den restlichen WG-Castings!“ schreien, aber dafür war sie mir zu unsympathisch. Sie war nämlich so ein perlenohrringtragendes Jura-Mädchen.
Danach kam Anna. Anna fängt mit ihrem Master an und machte einen netten Eindruck. Bzw. sie hinterließ eigentlich gar keinen Eindruck. „Und? Was sagst du zu ihr?“, fragte mich meine Mitbewohnerin. „Weiß ich nicht.“ Weiß ich wirklich nicht. Manche Leute trifft man und hat man im nächsten Augenblick wieder vergessen. Das einzige, an was ich mich erinnern kann, was sie gesagt hat, war, dass sie in ihrer letzten WG ein kleines Kind hatte. Das ist mein größter Alptraum. Daher weiß ich das noch. Aber sie fand das sehr schön. Gut für sie. Gut für das Kind. Gut für die Mutter. Macht bestimmt nicht jede WG mit.
Dieser Post klingt aggressiver als sonst? Ja, weil WG-Castings nerven. Ich habe keine Lust mehr. Und morgen stehen die nächsten drei an und nächste Woche noch mal, weil meine Mitbewohnerin Angst hat, dass wieder jemand kurz vorher abspringt und drei sichere Kandidaten will.
Ich gehe jetzt Pokémon Go spielen und haue das Arschgesicht von Team blau aus jeder Arena raus. Und alle anderen auch. Ich bin scheinbar so aktiv, dass mich jeder Pokémon Go Spieler aus den umliegenden Stadtteilen kennt. „Wer ist eigentlich twentysomething?“ wird vor jedem Raid in die Gruppe gefragt. Entweder melde ich mich von alleine oder irgendwer ruft „die! Die da schmeißt uns immer aus Arenen raus!“ Es sind nur noch wenige Punkte bis Level 38. Da müssen die jetzt durch.